Wer Retrospektive gestalten will, die wirklich etwas bewirken, braucht mehr als Templates. Ich liebe es Retrospektiven zu gestalten – hier kann ich kreativ werden und mit Teams daran arbeiten echte Verbesserungen zu erzielen.
Was ich von Diana Larsen, 17 Jahren Praxis und dem 12. agilen Prinzip gelernt habe.
Seit ich 2008 die erste Ausgabe von Agile Retrospectives gelesen habe, war dieses Buch mein ständiger Begleiter – als Coach, Trainerin und Sparringspartnerin für Teams. Ich habe es unzähligen Scrum Mastern empfohlen, in Trainings extra gefeatured und nie als bloße Scrum-Pflicht behandelt. Auch wenn Retros in vielen Zertifizierungsprogrammen nur am Rande vorkommen: Für mich war immer klar, dass hier das Herzstück echter Team- und Prozessentwicklung liegt.
Umso besonderer war für mich der Tag, den ich kürzlich mit Diana Larsen verbringen durfte. Ein Privatissimum mit der Co-Autorin dieses Klassikers. Wir sprachen über die zweite Auflage ihres Buchs, über Haltung, Entwicklung und die Frage: Was macht eine Retrospektive heute wirksam?

Der Austausch war offen, tief und inspirierend – und er hat mich motiviert, diesen Artikel zu schreiben. Für alle, die sich mit „Retro-Müdigkeit“ herumschlagen. Und für alle, die ahnen, dass mehr drinsteckt.
Warum Diana Larsen weiß, wovon sie spricht
Diana Larsen gehört zu den erfahrensten Stimmen im Bereich agiler Team- und Organisationsentwicklung.
Sie ist nicht nur Co-Autorin von Agile Retrospectives, sondern auch Mitgründerin von FutureWorks Consulting und Co-Initiatorin des Agile Fluency Model – einem Framework, das Teams hilft, ihre Entwicklung bewusst zu gestalten.
Seit über zwei Jahrzehnten begleitet sie Unternehmen weltweit als Facilitatorin, Strategin und Thought Leader.
Ihre Arbeit ist geprägt von Klarheit, Menschlichkeit und systemischem Denken.
Wenn Diana über die Gestaltung von Retrospektiven spricht, spricht sie über Lernräume, nicht über Methoden.
Retrospektive gestalten ≠ Template verwenden
Im agilen Netz kursieren Dutzende Retro-Formate, die einem die Arbeit abnehmen sollen eine Retrospektive mühevoll selbst zu gestalten: Starfish, Segelboot, 4Ls, Mad-Sad-Glad, Lean Coffee, usw.
Sie sehen gut aus, lassen sich leicht „durchmoderieren“ – und sind oft das Einzige, was Teams regelmäßig nutzen.
Aber: Diese Formate bedienen meist nur eine einzige Phase einer vollständigen Retrospektive – nämlich „Gather Data“.
Was nützt es, Symptome zu sammeln, wenn wir sie nie verstehen – oder gar verändern?
Das Problem: Viele Retros enden dort, wo sie eigentlich anfangen sollten.

Retrospektive gestalten mit Struktur – die 5 Phasen
Diana Larsen & Esther Derby haben ein Modell entwickelt, das heute leider oft übersehen wird – obwohl es so viel Orientierung gibt:
1. Set the Stage – Ankommen, Fokus schaffen, Sicherheit etablieren
- „Wie bist du heute hier?“
- „Was brauchst du, um dich beteiligen zu können?“
2. Gather Data – Beobachtungen, Fakten, Stimmungen sammeln
- „Was war los – und wann?“
- „Welche Stimmungen gab es?“
- „Was hat dich überrascht?“
3. Generate Insights – Muster erkennen, Ursachen verstehen
- „Was ist das eigentliche Thema?“
- „Warum kommt das immer wieder?“
- „Was vermeiden wir vielleicht unbewusst?“
4. Decide What to Do – Konkrete Maßnahmen ableiten und verantworten
- „Was ändern wir konkret – ab morgen?“
- „Worauf wollen wir gemeinsam achten?“
- „Wie überprüfen wir, ob es wirkt?“
5. Close the Retrospective – bewusst abschließen, Dank & Würdigung ermöglichen
- „Was nimmst du mit?“
- „Wem möchtest du danken?“
- „Was war für dich heute besonders?“
Templates wie Starfish oder Segelboot sind nur ein Ausschnitt – und oft der bequemste.
Retromat – Retrospektiven mit wenigen Clicks gestalten
Ein Tool, das ich regelmäßig empfehle, ist der Retromat. Er ist eine echte Schatzkiste – über 130 Aktivitäten, sauber sortiert nach den 5 Phasen.
Aber auch hier gilt: Erst das Warum verstehen – dann auswählen. Als Inspiration super, aber werde selber kreativ! Adaptiere für Dein Team!

Retrospektive gestalten statt Post-Mortem-Denken
Post-Mortems starten im Problemraum. Sie fokussieren auf Ursachen, Fehler, Verantwortung.
Retrospektiven hingegen öffnen den Lernraum. Sie fragen: Wie arbeiten wir miteinander? Was wirkt unter der Oberfläche? Was lernen wir über uns als Team?
„Retrospektiven sind nicht für Vorfälle gedacht – sie sind für Entwicklung.“ – Diana Larsen
“Retrospektiven sind nicht für Vorfälle gedacht – sie sind für Entwicklung.“ – Diana Larsen
Retrospektive gestalten: typische Anti-Patterns vermeiden
Auch gut gemeinte Retros können ungewollt zur Belastung oder Belanglosigkeit werden:
1. „Immer das gleiche Format“ – Das Team schaltet ab
📚 Trivia 1: Ich habe einmal ein Team übernommen, das so an Starfish gewöhnt war, dass sie fertige Notizen mitbrachten – explizit für dieses Format. Als ich etwas anderes vorschlug, waren sie völlig perplex.
📚 Trivia 2: Ein Scrum Master erzählte mir, dass er ein Jahr lang nur „What went well?“ und „What went wrong?“ gefragt hat.
😬 Wirkung: Reflexion wird zur Routine. Keine Tiefe, keine Entwicklung.
❌ Warum „What went wrong?“ nie, nie, niemals:
-
- lenkt ins Fehlersuchen
- erzeugt Negativität
- hemmt Offenheit
✅ Stattdessen fragen:
-
- Was war herausfordernd – und wie sind wir damit umgegangen?
- Was würden wir nächstes Mal anders machen?
- Was war überraschend?
- Was haben wir als Team gelernt?
2. „Wir reden, aber es passiert nix“ – Maßnahmen ohne Follow-up
Typisch: Action Items in Confluence – aber nie wieder gesehen.
😬 Wirkung: Frust, Zynismus, Rückzug.
✅ Empfehlung:
- Wenig, aber konkret
- Maßnahmen sichtbar machen
- Verantwortung klären
- In der nächsten Retro: Hat es was gebracht? Wenn nein: Warum nicht?
3. „Das ist doch nur ein Mecker-Meeting“ – Die Retrospektive wird zur Frustablade
In Österreich und Deutschland meckern, sudern oder jammern (je nach Region) wir ganz gern.
Das gehört kulturell fast dazu. Deshalb ist die Versuchung groß, die Retro als Auskotz-Runde zu nutzen.
Dampf ablassen ist gesund – aber löst keine Probleme.
✅ Empfehlung: Emotionen zulassen, aber strukturieren. Fragen wie:
- „Was steckt hinter dem Ärger?“
- „Was liegt in unserer Hand?“
Nutze z. B. den Circle of Influence oder Root Cause Mapping.
4. „Wir müssen jetzt wirklich arbeiten“ – Retrospektive wird gestrichen
„Keine Zeit. Das Projekt ist wichtiger.“
„Retro bringt eh nix.“
😬 Wirkung: Lernzyklen reißen ab. Symptome bleiben. Teams bleiben stecken.
👉 Aber warum sagt ein Team das?
- Sehen sie keinen Sinn in der Retro? „Retro bringt nichts“?
→ Oft ein Hinweis darauf, dass sie zur reinen Pflichtübung geworden ist. Dann ist genau jetzt der richtige Moment, um sie neu zu denken. - Sind sie im Dauerstress-Modus?
→ Auch das ist ein Thema für die Retro. Feuerwehr-Modus ist kein Dauerzustand.
✅ Retrospektiven sind Arbeit am System.
Sie vermeiden Eskalationen, sparen Energie – und schaffen Fokus.
Retrospektive gestalten im Remote-, Präsenz- oder Hybrid-Setting
Meine Antwort aus Erfahrung:
– Präsenz ist toll – wenn alle da sind.
– Remote funktioniert ausgezeichnet – wenn gut moderiert.
– Hybrid ist meist eine Notlösung – und selten gut. Ich bin da wirklich streng. Manchmal ist jemand unpässlich und arbeitet im Home Office. Da sich mein aktuelles Team nur alle 3 Wochen trifft, kann diese Person dann nicht an der Retrospektive teilnehmen.
Ich habe einmal eine funktionierende Hybrid-Retro gesehen – mit einem zweiten Scrum Master als aktiver Proxy für die Remote-Person.
Das war aufwendig und nicht skalierbar, also für die meisten Teams schlicht nicht realistisch.
Außer:
“Use the communication tools of the least powerful participant.“ – Diana Larsen
Deshalb: Wenn nicht alle vor Ort – dann lieber bewusst remote.

📜 Das 12. agile Prinzip – und warum es ernst gemeint ist
„In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an.“
📌 Das ist kein netter Zusatz. Es ist der Kern jeder agilen Methode.
Scrum institutionalisiert das durch die Retrospektive.
Andere Frameworks nennen es anders – aber alle echten agilen Ansätze setzen auf kontinuierliches Lernen.
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🎯 Fazit: Die Retrospektive ist der evolutionäre Motor deines Teams
Wenn du Retrospektiven nicht einfach durchziehst, sondern gestaltest, wird sie zum Kraftmoment.
Ein Moment, in dem Klarheit entsteht. Verbindung. Verantwortung.
“Die beste Retrospektive ist die, nach der das Team sich selbst besser versteht.“ – Diana Larsen
Über die Autorin dieses Beitrags:

Gerne helfe ich Dir und Deinem Team euer volles Potential mit einer agileren Haltung zu entdecken und auszuschöpfen.
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